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Bewertung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz

In den vergangenen Jahren wurden als Folge der Aufdeckung des rechtsterroristischen NSU aber auch zur Anpassung an technische Entwicklungen und zur Erweiterung von Eingriffsbefugnissen in zahlreichen Ländern und im Bund die Verfassungsschutzgesetze erneuert, so auch 2016 das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG). Gegen dieses Gesetz hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Verfassungsbeschwerde eingereicht, weil es darin die Rechte der Bürger:innen in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt und die Gefahr anlassloser Überwachungen sieht. Am 26.04.2022 hat das BVerfG nun in Teilen das BayVSG) für verfassungswidrig erklärt. 


Das Bundesverfassungsgericht


Wir wollen das Urteil aus Sicht von PolizeiGrün bewerten und einen Ausblick auf die daraus resultierenden Folgen geben: Im Wesentlichen hat das BVerfG keine der Befugnisse für grundsätzlich verfassungswidrig erklärt, aber deutlich mangelnde Stufenfolgen, Begrenzungen der Beobachtung sowie mangelnde Kontrolle moniert. Das Gericht hat insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den zentralen Fokus seines Urteils gestellt und das Fehlen entsprechender Prüfungen als unverhältnismäßigen Eingriff gewertet. Damit hat es klar gemacht, dass das Bayerische Gesetz weit über das Ziel effektiver nachrichtendienstlicher Mittel hinausgeschossen ist und die Freiheitsrechte der Bürger:innen unverhältnismäßig einschränkt. Besonders bemerkenswert ist, dass das BVerfG nicht nur eine oder zwei Befugnisse kritisiert, sondern nahezu das gesamte Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel wie Online-Durchsuchung, Ortung von Mobiltelefonen, Wohnraumüberwachung, Observation sowie den Einsatz verdeckt eingesetzter Mitarbeiter:innen sowie V-Personen. 


Der Bayerische Gesetzgeber hat das viel zitierte Pendel zwischen Freiheit und Sicherheit somit deutlich in die falsche Richtung ausschlagen lassen. Den Nachrichtendiensten immer neue Befugnisse mit immer niedrigeren Eingriffsschwellen zu schaffen, hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage erteilt. Darüber hinaus wurde durch das Urteil das so genannte informationelle Trennungsgebot geschärft. Informationelles Trennungsgebot bedeutet im Wesentlichen, dass Informationen zwischen Polizei und VS nur dann ausgetauscht werden dürfen, wenn die empfangende Stelle selbst zur Erhebung dieser Daten berechtigt ist. Auch hier sieht das Gericht Handlungsbedarf und kritisiert das BayVSG ob des allzu leichten und anlasslosen Austausches personenbezogener Daten zwischen Polizei und Verfassungsschutz. 


Wir als PolizeiGrün begrüßen dieses Urteil ausdrücklich! Denn zum einen werden Bürger:innenrechte gestärkt, zum anderen wurden die Berechtigungen bestimmter Befugnisse der Nachrichtendienste unter der Maßgabe enger Kriterien und erhöhter Kontrolle gestärkt. Das Urteil muss man somit sowohl als Gewinn für die Freiheit als auch für effektive aber zielgerichtete nachrichtendienstliche Arbeit deuten. Die Auswirkungen des Urteils gehen weit über Bayern hinaus: Zahlreiche der Verfassungsschutzgesetze der Länder und auch des Bundes haben ähnliche Regelungslücken bzw. fehlende Stufenfolgen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie das Bayerische Gesetz. Viele Gesetze werden auf Basis des Urteils also beurteilt und ggfs. neu gefasst und konkretisiert werden müssen. Dies bietet die Chance, die sehr heterogene Gesetzeslandschaft endlich zu harmonisieren, Befugnisse, Genehmigungshürden und Kontrolle der Nachrichtendienste zu vereinheitlichen und damit letztlich auch die Zusammenarbeit innerhalb des VS-Verbunds zu verbessern. 


Eine Neubetrachtung der derzeitigen Auslegung des Trennungsgebots gibt zudem die Möglichkeit die Zusammenarbeit der Behörden grundlegend zu definieren und dadurch beiden Seiten Handlungssicherheit zu geben. Die häufig bemängelte und ineffiziente Zusammenarbeit von Polizei und Diensten in GETZ und GTAZ könnte neu gestaltet werden. 


Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern bilden eine wichtige Säule der Sicherheitsarchitektur in Deutschland. Insbesondere bei der Beobachtung und Aufklärung von Rechtsextremismus und - terrorismus sowie Islamismus kommt den VS-Behörden eine entscheidende Rolle zu. Dies zeigten nicht zuletzt die Fahndungserfolge gegen die so genannten „Vereinten Patrioten“, die maßgeblich durch die VS-Behörden aufgeklärt und letztlich durch die Strafverfolgungsbehörden erfolgreich fortgeführt werden konnten. Dieses Beispiel verdeutlicht die Wichtigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendiensten und Polizei und die Erfordernisse effektiver Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden. Beides muss jedoch verhältnismäßig sein und darf die Rechte der Bürger:innen nicht unverhältnismäßig einschränken. 


PolizeiGrün sieht keinen Widerspruch in effizienten und zielgerichtet arbeitenden und mit den erforderlichen Befugnissen ausgestatteten Sicherheitsbehörden auf der einen und Bürger:innen- und Freiheitsrechten auf der anderen Seite. Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und demokratisch legitimierte, effiziente Kontrolle der Nachrichtendienste sind der Schlüssel, um beides miteinander in Einklang zu bringen. Das Bundesverfassungsgericht hat beide Aspekte in seinem Urteil deutlich gemacht und somit wieder einmal das Funktionieren des Rechtsstaats in Deutschland unter Beweis gestellt.

 

Der Vorstand


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